Weihnachten also – und was haben wir geschafft? - Sprache im Corona-Jahr
John Lennon wurde vor 40 Jahren ermordet. Sein berühmter Weihnachtssong stellt uns die Frage, die uns in diesen "be-sinn-lichen" Fest- und Frei-Zeiten mehr denn je beschäftigen wird: „So this is christmas – and what have we done?“ Was also haben WIR getan, geschafft, geredet und gelebt in diesem Corona-Jahr? Es sind uns jedenfalls mit dem Virus und der Virus-Umgangspolitik viele neue Wörter und Sprachregelungen begegnet, die häufig auch Ausdruck einer tieferen Sprachlosigkeit in Anbetracht des über uns gekommenen Geschehens waren und sind.
Gelernt haben wir eifrigen Zeitungsleser und Mediennutzer zum Beispiel, dass es „Inzidenzen“ gibt, also mehr oder weniger wissenschaftlich festgelegte Fallzahlen pro Großgruppe, die direkt oder indirekt gesamtgesellschaftliche Handlungen auslösen. Darunter im härteren Fall auch den „Lockdown“, der im umfassenderen Fall zumeist als „Shutdown“ bezeichnet wird. Lateinische und englische (Fach-) Wörter verhelfen hier zu mehr gefühlter Sicherheit in fundamental unsicheren Zeiten.
Auffällig ist auch das Wort „systemrelevant“, das zwar etwas zu vornehm an die Systemtheorie (in der Luhmann-Tradition) anklingt, aber eigentlich nur sehr lebenspraktisch bedeutet: Einige Gruppen von Menschen und Einrichtungen halten nach Meinung bestimmter Entscheider den gesamtgesellschaftlichen (System-) Laden am Laufen. Sie werden daher politisch als relevanter und damit unterstützungswürdiger eingestuft als andere. So kommt es dann, dass selbst die Künstler in Corona-Zeiten nicht mehr ganz so „frei“ und systemkritisch sein wollen, sondern (systemisch) „relevant“ genug für die Teilhabe an den virtuellen Geldtöpfen, die per Zeitmaschine aus einer irgendwie „blühenden“ Zukunft in die harte Gegenwart transportiert werden.
Die Sache (das Virus, die Politik) und die Sprache dafür lösen natürlich allerlei Gefühle bei den System-Mitspielern auf allen Ebenen aus, Systemrelevanz hin oder her. Das ist nur menschlich, wenn dieses altmodische Nicht-Fachwort noch erlaubt ist. Das Ausgeliefertsein und das Alleinsein in diesem Jahr machten für fast jedermann spürbar, wie der Mensch auch im Zeitalter seiner technologischen Selbststeigerung und Selbstbespiegelung am Ende immer noch das empfindliche leibliche Wesen mit überschaubarer Stoffwechsel- oder Lebenszeit ist, das auf die jeweils „Anderen“ angewiesen ist.
Wer das psychisch weniger gut aushält, malt sich die Welt nach eigenem Gusto neu und bezeichnet sich zum Beispiel als „Quer-Denker“, auch dies ein neues Wort, das wohl individuelle Heldenhaftigkeit in einem Kampf gegen irgendein Verschwörungssystem signalisieren soll, wo in Wahrheit wohl nur der reine Angst-/Abwehr-Impuls in der aufgestörten Ego-Welt zugrunde liegt. In diesen Zusammenhang der sprachlich verbrämten oder gespiegelten Krankheiten in den gelebten Ego-Welten gehört auch das „Jugendwort des Jahres 2020“, das nach Verlagsangaben knapp die Hälfte aller Abstimmenden gewählt hat: „lost“. Hätte vielleicht auch „disconnected“ heißen können, denn Verlorenheit bedeutet für die Mit-Smartphone-Generationen im durchaus selbstironischen Spiel ja genau diese Erfahrung: des Verlustes von spürbarer Verbundenheit, die nur sehr bedingt durch Emojis im Netz und anderswo ersetzt werden kann.
So oder so tragen die vielen Neu-Wörter in Corona-Zeiten nicht gerade dazu bei, dass das unsicher schwimmende Menschen-Kind wieder Boden-Sicherheit gewinnt. Auch die Impfstoffe müssen es erst dauerhaft in den erlebten Sprachgebrauch schaffen. (Ganz so einfach, wie gewisse Gesundheitsminister es darstellen, wird der epidemologische „Sieg“ über das Virus in 2021 dann wohl doch nicht werden, auch nicht für die vorab definierten Impfberechtigten, die ihre eigene Art von „Systemrelevanz“ erhalten haben ...)
Sicher ist nur eines: Auf die Sprache kommt es an, immer wieder. Denn – um es mit einem deutschen Popsong von 2001 zu sagen: „Ohne Klarheit in der Sprache ist der Mensch nur ein Gartenzwerg.“ (Element of Crime) – Nehmen wir uns doch in diesen Weihnachtstagen für 2021 vor, auf unsere Sprache zu achten. Das gilt auch im inneren Selbstgespräch, in der Gruppe, in der Öffentlichkeit und ihren Medien ohnehin.
Übrigens kann man im Life- und Rede-Coaching des KommunikationsKontors und der Philosophischen Praxis seine eigenen Seins- und Sprach-Zustände gelassen und wahrheitsorientiert besprechen, ohne sich im dunklen Ego-Tunnel zu verlaufen oder zu verrennen. „Alu-Hüte“ (ein witziges Klischee-Wort aus dem ersten Halbjahr 2020) zur Abwehr kosmischer Strahlen brauchen wir hier nicht. Gedanken und Worte reichen aus.
Auf geht’s!
Einen guten Start ins neue Jahr wünscht Ihr und euer
Ronald Wellach